Der Name Ingo Schulze ist allen, die schon länger zur Meranier-Familie gehören, vertraut: Schon 2002 las der aus Dresden stammende Schriftsteller in unserer Aula. Damals saßen eine ganze Reihe derjenigen, die heute hier Deutsch (und andere Fächer) unterrichten, als Schülerinnen und Schüler oder junge Lehrkräfte im Publikum! Mittlerweile gehört der inzwischen 61-Jährige fest zur deutschen Literaturszene und hat im vergangenen Herbst eine besondere Ehrung erfahren, denn er wurde zum Präsidenten der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt gewählt.
Grund genug, nach einigen Jahren der Pause die Tradition des Leseheftes wieder aus dem Dornröschenschlaf zu wecken, um im Rahmen des Unterrichts zum Schmökern, Eintauchen und Weiterlesen mit zahlreichen kommentierten Auszügen aus dem literarischen und journalistischen Werk Schulzes einzuladen.
Während der 90 Minuten las Schulze uns aus unterschiedlichen Werken vor. Als Erstes reisten wir mit ihm nach Russland und erlebten ganz schön ungewöhnliche Gesten der Gastfreundschaft auf einem Wochenmarkt. In der Geschichte fühlt sich ein junger Ich-Erzähler zuerst von den ungewohnten Hör-, Seh- und Riecheindrücken in Sankt Petersburg völlig überfordert und abgestoßen, bis ihn die Zuneigung seiner Mitmenschen im wörtlichen Sinn körperlich zu Fall bringt und man ihm so nah wie möglich „auf die Pelle“ rückt, um seine Bekanntschaft zu machen. Ob diese skurrile Szene aus „33 Augenblicke des Glücks“ nun völlig frei erfunden ist oder aber einen wahren Kern enthält, hat Schulze uns allerdings nicht verraten.
In seiner nächsten Erzählung aus der Sammlung „Handy“ entführte uns Schulze in seine Datsche an einem heißen Sonntagnachmittag vor gut zwanzig Jahren und offenbarte einiges über sein Verhältnis zum Grillen und gekühlten Getränken. Die Begegnung mit einer Orangenschale stellt den Erzähler dann vor die ganz großen Fragen des Lebens.
Den Abschluss der Lesung bildete dann ein Auszug aus seinem essayistischen Werk „Der Amerikaner, der den Kolumbus zuerst entdeckte“, denn Schulze schreibt nicht nur erfundene Literatur, sondern setzt sich auch mit Auswüchsen der deutsch-deutschen Vergangenheit in Sachtexten auseinander. Klar bezieht er hier Position zu unserem Alltag und stellt viele Selbstverständlichkeiten in Frage. Hier war allerdings einiges an Geduld und ganz viel geschichtliches Vorwissen von Seiten der Schülerinnen und Schüler gefordert, denn der Anfang des Essays beschäftigt sich mit der Zeit rund um 1989 und dem Ende der DDR. Sicher war für viele das Verständnis dieses Textes eine echte Herausforderung!
In der anschließenden Gesprächsrunde kamen dann spannende Nachfragen an den Autor aus dem Publikum. Neben Informationen darüber, was man als Schriftsteller verdient und wie man überhaupt zum Schreiben findet, gab Schulze sehr offen und immer freundlich lächelnd Hinweise dazu, wie einige seiner Texte zu verstehen sind, denn bei den Besprechungen im Unterricht waren einige Fragen offen geblieben.
Wir freuen uns, mit Ingo Schulze einen hochkarätigen (und überaus liebenswerten) Schriftsteller der Gegenwart schon zum zweiten Mal in unserer Schule begrüßen zu dürfen und hoffen heute schon auf ein Wiedersehen – vielleicht in zwanzig Jahren?