189 Tage zwischen Abenteuer und Herausforderung: Meine Reise mit „Klassenzimmer unter Segeln“

189 Tage. 189 Tage ohne Familie und Freunde. 189 Tage nicht Zuhause. 189 Tage lang in einer fremden Umgebung. 189 Tage nicht die eigenen Hobbys ausüben können. Aber auch: 189 Tage mit neuen Freunden verbringen. 189 Tage in einem zweiten Zuhause, der Thor Heyerdahl, leben. 189 Tage neue Länder und Kulturen kennenlernen. 189 Tage neue Dinge ausprobieren. Genau das erwartet mich in ein paar Tagen, wenn ich mit dem Traditionssegler Thor Heyerdahl in Kiel los segle, um bei „Klassenzimmer unter Segeln“ teilzunehmen.

„Klassenzimmer unter Segeln“ ist ein Projekt der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. Hier forschen die Professoren und Studenten des Instituts für Erziehungswissenschaften in verschiedenen Themenbereichen, basierend auf unseren Erfahrungen und Antworten auf bestimmte Fragen. Auf diesen Daten basierend, wurden auch schon Doktorarbeiten geschrieben!

Aber was ist das eigentlich? KUS ist als Auslandsaufenthalt anerkannt. Denn neben den Dingen, die wir an Bord erledigen müssen, haben wir auch Unterricht. Dass dieser nicht genau so stattfindet, wie Zuhause, ist wahrscheinlich klar. Mathematik, Physik, Englisch, Deutsch (sogar mit Lektüre!), Geographie, Chemie, Spanisch und noch ein paar andere Fächer begleiten uns an Bord jeden Montag bis Samstag. In all diesen Fächern schreiben wir auch eine Arbeit auf die wir uns durch den Schiffsbetrieb allerdings nur bedingt vorbereiten können. Denn der Unterricht verläuft parallel zu alltäglichen Schiffsarbeiten. In der Backschaft für 50 Personen Essen kochen, während das Schiff bei Sturm und Windstärke 8 hin und her schaukelt und die 7 Meter hohen Wellen gegen das Fenster klatschen, ist dabei nur eine der Herausforderungen. Zum Beispiel müssen wir, wenn wir an sogenannten B-Tagen, wenn die andere Hälfte Unterricht hat, Nachts für jeweils drei Stunden zur Wache gehen und beim Steuern des Schiffs helfen. Und ganz normale Sachen gibt es auch auf der Thor: Zimmer aufräumen! Jeden Samstag ist Großreinschiff angesagt. Hier müssen sowohl die Kojen, als auch die Bäder, alle anderen Räume unter Deck, sowie das Schiff selbst auf Vordermann gebracht werden. Denn wenn der Kapitän mit der Taschenlampe alles kontrolliert, will man nicht die Koje sein, bei der es nicht aufgeräumt ist. Aber nicht nur schulisch sondern auch „beruflich“ können wir Erfahrung sammeln. Wir haben zum einen die Möglichkeit, verschiedene Praktika zu machen. Zum Beispiel beim Maschinisten oder bei den Proviantmeistern. Dort können wir einen neuen Beruf in einer außergewöhnlichen Umgebung kennenlernen und selbst mit anpacken. Zum anderen gibt es da noch die Schiffsübergaben. Wenn die Erwachsenen für mehrere Tage die Kontrolle komplett an die Schülern abgeben und nur in Notfällen eingreifen. Um einen der wichtigen Posten zu erhalten, muss eine Bewerbung eingereicht werden, die dann von der Segelcrew durchgelesen wird, um auszuwählen, welcher Kandidat am geeignetsten ist. Die Schiffsübergabe, wenn alle technischen Geräte abgeklebt werden und wir nur astronomisch, also nach den Sternen und der Sonne, navigieren können, stellt dabei eine ganz neue Art von Herausforderung da.

Und doch: Sind diese Herausforderungen geschafft, folgt auch eine Belohnung!

Die Landaufenthalte. Auf unserer Reise verbringen wir ungefähr 60% der Zeit auf dem Wasser und 40% an Land. Dabei fahren wir die verschiedensten Länder an.

Zuerst geht es für uns auf die Kanaren. Hier werden wir unter anderem das Thor Heyerdahl Museum besuchen, um, neben dem Referat zu dem Thema, einiges über den Namensgeber unserer Thor zu lernen. Dann folgt ein spannendes Kapitel unserer Reise: Die Atlantiküberquerung. Am Äquator entlang segeln wir mithilfe der Passatwinde für etwas mehr als drei Wochen Richtung Westen. Kann man sich das vorstellen? Für mehr als 21 Tage nur Wasser, Himmel und die kleine Holzschale, die die Thor ist? Für mich ist das irgendwie noch surreal. Doch wenn wir das erstmal geschafft haben, verbringen wir Weihnachten dieses Jahr in der Karibik! Bevor es auf den ersten großen Landaufenthalt geht, müssen wir aber zuerst mal unsere neuen Spanischkenntnisse zur Schau stellen, wenn wir mit den Kuna Indianern über den Preis der Kokosnüsse verhandeln müssen! Wie bereits angedeutet: Land in Sicht! Für uns geht es nach Panama. Drei Wochen werden wir dort verbringen. Mit indigenen Stämmen zusammenleben, den Regenwald erkunden, in Gastfamilien leben und etwas über den Kaffeeanbau lernen. Nach drei Wochen mit festem Boden unter den Füßen geht es für ein paar Tage wieder aufs Wasser, bevor wir uns der nächsten Insel nähern: Kuba. Im Land des Rums und des Tabaks haben wir auf unserer Fahrradtour von mehreren hundert Kilometern die Chance, die Landschaft zu erkunden, bevor wir uns dann in der Hauptstadt Havanna erstmal voneinander verabschieden müssen. Hier werden wir in Kleingruppen aufgeteilt, in denen wir uns dann für mehrere Tage selbst organisieren müssen. Mit Taxifahrern feilschen, nach dem Weg fragen und Unterkünfte anrufen. Und all das auf Spanisch, obwohl die meisten doch gar nicht richtig Spanisch sprechen! Mit Kuba haben wir den westlichsten Punkt überwunden und segeln wieder Richtung Osten. Nach einem kurzen Stopp auf den Bermudas, nähern wir uns unserem letzten Landaufenthalt. Den Azoren. Wie in Panama und auf den Kanaren werden wir auch hier einen Dreitausender besteigen. Außerdem haben wir die Möglichkeit, beim Whale Watching Wale und vielleicht ja auch Delfine vor der Küste der portugiesischen Insel zu beobachten. Nach den Azoren sind es dann auch nicht mehr allzu viele Tage, bevor wir wieder in unserem Heimathafen einlaufen werden.

Und auch, wenn viele Gleichaltrige das als Urlaub abstempeln, ist es das nicht nur. Ich behaupte nicht, dass es keine einmaligen Gelegenheiten für viele von uns sind, aber es wird sicher kein Spaziergang. Viele können das aber nur schwer nachvollziehen.

Die Leute, die ich hiervon begeistern kann, sind immer interessiert und stellen dann auch schon direkt die Frage: „Hast du Angst?“. Nein. Das Gefühl Angst, wie wir es als Angst empfinden, habe ich nicht und habe ich noch nie mit KUS verbunden. Aber ich habe Respekt. Ganz gewaltigen sogar. Vor der Atlantiküberquerung und den anderen schwierigen Situationen, die mit Sicherheit auf mich zukommen werden. Aber das ist normal für jemanden, der sich mit 16 Jahren aufmacht, um die Welt auf eigene Faust zu entdecken.

Hier möchte ich mich zuerst bei Frau Stingl bedanken, die mir, obwohl ich mich im Februar so kurzfristig entschieden habe, mich zu bewerben, geholfen hat, alle nötigen Dokumente von der Schule auszufüllen. Schließlich richte ich ein großes Dankeschön an Herrn Carl, der als Schulleiter hinter mir steht und mich unterstützt hat.

Doch all das wird nur möglich, da mich meine Eltern von dem Moment an, in dem ich mich entschieden habe, mich zu bewerben, voll und ganz unterstützt haben. Sie standen bei der Entscheidung voll hinter mir und unterstützen mich jetzt, ohne Nachfrage, bei allen Vorbereitungen. Sie versuchen immer, meiner Schwester und mir alles zu ermöglichen. Danke Heidi, dass du mich immer ermutigst.

Danke Mama und Papa.

Wer besonders an meiner Reise oder dem Projekt interessiert ist, kann unseren Blog unter: www.kus-projekt.de gerne verfolgen. Für mehr visuelle Eindrücke kann ich die ARD Serie „Klasse Segel Abenteuer“ in der ARD-Mediathek sehr empfehlen.

Mehr über meine Erfahrungen könnt ihr in meinem Beitrag lesen, den ich verfassen werde, wenn ich im April wieder nach Hause komme.

Bis dahin,

Hannah
Hannah Büttner
gepostet am 29. September 2024